JAGD NACH KÖPFEN

Von Stefan Löffler
Auf den ersten Blick befand sich Jens Kurth auf dem besten Weg zu einer Professur: Er war dreißig, hatte fünf Jahre als Postdoc an der renommierten Johns Hopkins University in Baltimore gearbeitet - und mit der Retrovirologie in einem blühenden Fachgebiet. Doch der Biochemiker aus Köln wollte immer in die Industrie. Wie der Wechsel zu schaffen wäre, sah er an seiner US-amerikanischen Universität. Headhunter gingen dort ein und aus, sprachen junge Wissenschaftler an, informierten sie über ihren Marktwert.
Nach seiner Rückkehr suchte Kurth Kontakt mit einem deutschen Headhunter. Der riet ihm, zunächst in einem Biotechnologie-Start-up mitzuwirken. Bald nachdem ihm Kurth mitgeteilt hatte, dass er das junge Unternehmen wieder verlassen wollte, hatte der Headhunter etwas für ihn. Binnen vier Wochen folgte das Vorstellungsgespräch in Wien. Heute ist Kurth Hauptabteilungsleiter für Prozessoptimierung bei der Baxter AG.
Die Stelle wurde nie ausgeschrieben. Je verantwortungsvoller die Aufgabe, desto weniger kommen für sie in Frage. Und dass die Besten Stellenanzeigen lesen und Zeit zum Bewerben haben, ist kaum zu erwarten. Unternehmen wie die Biochemie Kundl in Tirol oder die Wiener Forschungsinstitute von Novartis und Boehringer-Ingelheim engagieren deshalb gezielt Headhunter, um zu ihren besten Köpfen zu kommen.
Inseriert werden eher Einstiegspositionen. Ein, zwei Stufen höher findet man Stellenanzeigen noch in Zeitungen mit hohem Akademiker-Anteil unter den Lesern - wie der "Frankfurter Allgemeinen" oder der "ZEIT". Ab Laborleiter-Ebene inseriert beispielsweise Novartis, wie Marion Kala von der Personalabteilung berichtet, nur gezielt in einschlägigen Fachjournalen oder in der Wissenschaftszeitschrift "Nature". Die Zahl der Bewerber gehe seit einiger Zeit zurück, sagt Kala: "Der Markt ist eng geworden."
Einen wichtigen Unterschied zwischen wissenschaftlichen und anderen Führungskräften nennt Reinhard Hager vom Wiener Büro der weltweit agierenden Executive-Search-Firma SpencerStuart (www.spencerstuart.com): "Wissenschaftler wollen an ihren Themen arbeiten. Daher sind sie wesentlich mobiler als etwa Finanzexperten." Zunächst werden Männer und Frauen ins Auge gefasst, die in einem ähnlichen Unternehmen Erfahrung gesammelt haben. Hagers Schweizer Kollege Roger Rytz, der als Headhunter auf Medizin und Biotechnologie spezialisiert ist, findet, dass auch an der Universität Führungskompetenzen erworben werden können: So werde beispielsweise ein gutes Netzwerk hoch angerechnet. "Kein Kandidat kann alles wissen. Er muss sich das fehlende Wissen aber holen können", erläutert der Zürcher Personalberater. Die englische Sprache aktiv zu beherrschen, gilt als selbstverständliches Muss. Auslandserfahrung sei ebenfalls kaum zu ersetzen. Eine Gruppe an der Universität geleitet zu haben, werde durchaus anerkannt. Der wesentliche Unterschied zu einem Forschungsteam in der Industrie sei der dort größere Ergebnisdruck.
Die wissenschaftliche Kompetenz lasse sich weitgehend am Internet recherchieren. Die Publikationsliste geht Rytz mit dem potenziellen Arbeitgeber durch. "Schwieriger zu beurteilen ist die soziale Kompetenz: Ist der Kandidat teamfähig? Hat er das Zeug, seine Mitarbeiter zu begeistern? Wie geht er mit Konflikten um?" Daher macht Rytz, bevor er den Kandidaten anruft, frühere Kollegen und Vorgesetzte ausfindig, um ihnen ein paar Fragen zu stellen: Wie haben sie den Kandidaten erlebt, welchen Eindruck hat er hinterlassen? Aus ihren Reaktionen ergeben sich Nachfragen. Wurde eine Schwäche angedeutet, fragt er vorsichtig nach, ob dem Kandidat zugetraut werde, die neue Aufgabe mit etwas Unterstützung meistern könnte. Sobald vier oder fünf Referenzen zusammen sind, klingelt das Telefon des Kandidaten.
Manches Unternehmen tue sich schwer, Wissenschaftler für sich zu gewinnen, weil es deren Denkweise nicht verstehe, warnt die US-amerikanische Headhunterin Charlene Reed. Wissenschaftliche Führungskräfte fühlen sich nicht nur ihrem Arbeitgeber verpflichtet, sondern auch ihren akademischen Kollegen und der wissenschaftlichen Integrität. Wenige seien bereit, ein laufendes Projekt einer neuen Stelle zu opfern. Viele wollen Konferenzen besuchen, vielleicht auch veröffentlichen oder als Gutachter tätig bleiben. Reed rät den Unternehmen, diese Motive ebenso zu berücksichtigen wie das Gehalt.
Auch bei Jens Kurths Verhandlungen hat Geld nicht die Hauptrolle gespielt. Fachlich fühlt sich der Biochemiker fit, wirtschaftlich will er noch lernen. Sein Chef ermöglicht ihm die Manager-Fortbildungen gern. Denn Kurths nächster Karriereschritt soll bei Baxter stattfinden.